Zusammen mit der Kommissionsmitteilung „Eine EU-Strategie für die
Jugend – Investitionen und Empowerment“ (siehe
NEWS), die eine neue offene Methode der Koordinierung für die
jugendpolitische Zusammenarbeit vorschlägt, hat die Europäische
Kommission den ersten EU-Jugendbericht veröffentlicht. Er
beinhaltet Daten, Statistiken und Kurzanalysen zur Lage junger
Menschen in den Mitgliedstaaten sowie eine Reflexion zu deren
Gemeinsamkeiten und Unterschieden.
Der Jugendbericht wird laut Beschluss des Europäischen Rates aus
dem Jahr 2008 alle drei Jahre von der Kommission veröffentlicht,
um zu einer besseren Wissensbasis im Jugendbereich beizutragen.
Dieser erste Bericht hat allerdings einen doppelten Zweck:
Zunächst soll er den neuen Rahmen der jugendpolitischen
Zusammenarbeit unterstützen, indem der die verfügbaren
Statistiken und Daten zusammenträgt. Daneben erfüllt er den
Anspruch, evidenzbasierte Politik zu machen, das heißt, dass alle
Bemühungen, die Situation junger Menschen zu verbessern, auf
eindeutigen Erkenntnissen und Diagnosen beruhen sollten. Der
Bericht liefert außerdem Anzeichen dafür, wo es Forschungslücken
gibt und wo die Forschung und die Datensammlung zum Thema Jugend
verbessert werden müssen. Die Hauptquelle für die angeführten
Daten im Bericht sind die Statistiken von Eurostat.
Einige herausragende Erkenntnisse des Jugendberichts:
- Jugend ist eine abnehmende Ressource: In der Europäischen
Union leben 96 Millionen junge Menschen zwischen 15 und 29
Jahren, das sind fast 20 % der Gesamtbevölkerung. Bis 2050 aber
wird ihr Anteil voraussichtlich auf 15,3 % gesunken sein.
- Jugend wird schlauer: Es gibt 3 Mio. mehr Studierende in der
zweiten Stufe formaler Ausbildung (weiterführende Schulen,
Hochschulen) als im Jahr 2000 und 1 Mio. mehr Abschlüsse in jedem
Jahr. Die Anzahl der Studierenden ist zwischen 1998 und 2006 um
25% gestiegen.
- Kein Grund zum Jubeln: Ein Fünftel der Kinder jedoch erreicht
den Grundstandard im Bereich Lese- und Rechenkompetenzen nicht. 6
Mio. junge Menschen, das ist einer von sieben zwischen 18 und 24
Jahren, beenden die Bildungslaufbahn nur mit der Grundbildung im
Rahmen der allgemeinen Schulpflicht oder sogar weniger.
- Die Herausforderungen: Auf europäischer Ebene hat der Anteil
derjenigen, die vorzeitig die Schule verlassen (d.h. in
Deutschland vor einem Hauptschulabschluss) zwischen 2000 und 2007
kontinuierlich abgenommen, beträgt aber immerhin noch 14,8%. Mehr
als 50% der jungen Europäerinnen und Europäer zwischen 25 und 29
Jahren haben einen Abschluss im Bereich der Sekundarstufe II, 29%
haben höhere Bildungsabschlüsse (z.B. Hochschulabschlüsse).
Weniger als ein Drittel der 25- bis 34jährigen, die einen
benachteiligenden sozioökonomischen Hintergrund haben, vollenden
eine Hochschulausbildung.
- Baustelle Beschäftigung: Mehr als ein Drittel der jungen
Menschen zwischen 15 und 24 Jahren können als NEETS bezeichnet
werden - "Not in Education, Employment or Training", sind also
weder in einer Aus- oder weiterführenden Bildung noch in einer
Weiterbildung oder Umschulung. Die Arbeitslosenrate junger Leute
zwischen 15 und 24 Jahren ist doppelt so hoch wie die
Erwachsener. Sie betrug im Jahr 2007 15,3% europaweit, 2008 waren
es 15,4%. 26% der Arbeitslosen zwischen 15 und 24 Jahren und 35%
derjenigen zwischen 25 und 29 Jahren sind mehr als 12 Monate
arbeitslos.
- Der Armutsskandal: 19 Mio. Kinder in der Europäischen Union
zwischen 0 und 17 Jahren und 20% zwischen 18 und 24 leben mit
einem Armutsrisiko. 18% der 18- bis 24jährigen verdienen weniger
als die Hälfte des Durchschnitts des Landes, in dem sie leben.
- So viel zu "Active citizenship": 22% der Jugendlichen in der
EU geben an, dass sie Mitglied einer Organisation sind. Dabei
gibt es eine klare Trennung zwischen den nördlichen
Mitgliedstaaten, in denen Jugendliche erheblich häufiger Mitglied
eines Vereins oder Verbandes sind, und südlichen
Mitgliedsstaaten, in denen eine Mitgliedschaft seltener ist.
Immerhin 49% der Jugendlichen in der EU sind Mitglied eines
Sportvereins. Überhaupt sind Freizeitgruppen und religiöse
Organisationen die populärsten Vereinigungen für Jugendliche,
26,8% der jungen Männer und 18,9% der Frauen zwischen 16 und 29
Jahren nahmen während der letzten 12 Monate an
Freizeitaktivitäten von festen Gruppen und Organisationen teil.
16 % der 15- bis 3jährigen engagieren sich gelegentlich oder
regelmäßig freiwillig und drei von vier Jugendlichen halten
freiwilliges Engagement für einen wichtigen Anreiz, sich mehr in
der Gesellschaft zu engagieren.
- 4% der jungen Menschen sagen, dass sie schon einmal bei
Aktivitäten politischer Parteien oder Gewerkschaften mitgemacht
haben. Weniger als 40% der Jugendlichen zwischen 16 und 29
vertrauen den Politikerinnen und Politikern sowie politischen
Parteien oder stehen ihnen „neutral“ gegenüber. 63% der
Jugendlichen unter 30 haben Vertrauen ins Europäische Parlament.
- Die Liebe blüht: 24,5% der jungen Menschen zwischen 15 und 29
Jahren leben in demselben Haushalt wie ihre Lebenspartner. 37%
aller Kinder werden unehelich geboren.
- Die Gesundheit nicht: Ungefähr 2 Mio. junge Leute haben
mentale Probleme. 17% zwischen 15 und 24 Jahren haben
Übergewicht, 9% Untergewicht. 24% rauchen täglich.
- Zuwachsraten: 2007 nutzten 70% der Jugendlichen zwischen 16
und 24 täglich den Computer, 59% das Internet. 2004 saßen nur 59%
täglich am PC.
Vieles davon kennt man schon, zum Beispiel aus der Analyse der
nationalen Jugendberichte. Dennoch birgt der 98-Seiten lange
Bericht durch seinen vergleichenden Ansatz noch etliche
Erkenntnisse. Alle Ergebnisse sind umfangreich belegt und
erläutert; auch die Maßnahmen der Mitgliedstaaten in den einzelnen
Bereichen werden dokumentiert. Der Umfang und die Vielfältigkeit
des Datenmaterials allerdings und die - redlichen - Verweise auf
widersprechende Befunde anderer Quellen machen es nicht leicht,
schlüssige Folgerungen zu ziehen und entsprechende politische
Maßnahmen abzuleiten.
Wie auch immer man diesen Bericht bewerten möchte, eines zeigen
die Zahlen sehr klar: Jugendpolitik mag als "hoch diffuser"
Politikbereich wahrgenommen werden (so Betz und Rauschenbach -
beide DJI - unlängst in einem Beitrag), er betrifft die Zukunft
Europas im Kern. Evidenzbasiert kann die Sache aber nur werden,
wenn man sich dafür entscheidet, das "Warum" in den Blick zu
nehmen.
Dokumente
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